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Sagen, was Sache ist

Eine gute Klima-Berichterstattung zeigt, wie die Dekarbonisierung die gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse grundlegend verändern wird. Foto: Pixabay

Prägnanz, Relevanz, Kontext und Sachlichkeit: Neun Thesen von Alexandra Endres darüber, wie journalistische Kriterien auch in der Klima-Berichterstattung helfen – und warum Klimajournalismus nicht nur vom Schreibtisch aus funktioniert.


Wie aktivistisch ist Klimajournalismus? Falsche Frage. Es geht um Relevanz.

Wir befinden uns mitten in einer Notlage. Die Klimakrise ist längst Wirklichkeit. Wegen ihr sterben Menschen, andere müssen um ihre Lebensgrundlagen fürchten – darüber intensiv zu berichten, hat mit Aktivismus nichts zu tun, sondern ist einfach eine Frage der Relevanz. Die Aufgabe von Journalist:innen ist es, zu sagen, was Sache ist, und zwar so klar wie möglich. Übrigens gerne auch so nüchtern wie möglich. Die Realität ist schon bedrohlich genug.

Je sachlicher, desto besser.

Die Welt ist unübersichtlich und polarisiert, die politischen und gesellschaftlichen Debatten werden immer hitziger geführt. Guter Klimajournalismus verschafft einen Überblick über die wesentlichen Fakten und Zusammenhänge – und zwar möglichst sachlich, denn gerade in einem polarisierten Umfeld ist es wichtig, selbst die Ruhe zu bewahren. Wer weiter emotionalisiert, läuft Gefahr, Widerstand hervorzurufen und die Unversöhnlichkeit nur zu vertiefen.

Differenziert zu berichten, gehört dazu. Journalist:innen sollten wissenschaftliche Unsicherheiten – die im Übrigen auch bedeuten können, dass es noch schlimmer werden könnte als gedacht – klar benennen. Und wo es verschiedene Lösungswege gibt, sollten sie die auch (kritisch) beschreiben. So schaffen sie eine Basis für eine faire politische Debatte über mögliche Wege zur Dekarbonisierung – und stärken nebenbei ihre eigene Glaubwürdigkeit.

Kein Thema. Dimensionen des Journalismus in der Klimakrise

Die große Lücke zwischen Klimawissen und Klimahandeln geht auch auf Journalist:innen zurück. Carel Mohn und Sven Egenter fordern deshalb eine neue Auseinandersetzung mit der journalistischen Disziplin.

Wer gegen Klimaschutz ist, meint oft gar nicht das Klima.

Oft steckt hinter der Debatte um das Für oder Wider einer entschlossenen Klimapolitik ein ganz grundlegendes Misstrauen gegenüber dem Staat. Das kann sich aus unterschiedlichen Quellen speisen: aus einer politischen Ideologie, die pauschal jede staatliche Einmischung ablehnt und Umweltschützer:innen als verkappte Kommunist:innen ansieht – so hat es die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes beschrieben. Oder aus eigener Lebenserfahrung, beispielsweise in den ehemaligen Ländern des Ostblocks, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in schwere Wirtschaftskrisen gerieten. Das Misstrauen trifft nicht nur den Staat, sondern oft auch die Medien. Damit muss man umgehen – mit gründlicher Recherche, sachlichen Erklärtexten, rationaler Offenheit auch für Gegenargumente und beharrlichem Dranbleiben am Thema.

Gute Klimaberichterstattung setzt das Klima in einen breiteren Kontext.

Seit einiger Zeit ist die Klimakrise im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen. Oft wird sie in Umfragen von einer Mehrheit als wichtigstes Thema genannt; so beispielsweise am Ende des Bundestagswahlkampf, als die Corona-Pandemie gerade abzuflauen schien.

Andere Themen sind den Wähler:innen jedoch ebenso wichtig: die Rente, Wohnen, das Gesundheitssystem, die Lage der Wirtschaft. Praktischerweise sind das genau die Themenbereiche, die entweder vom Klimawandel betroffen sind (Gesundheit) oder von einer wirksamen Klimapolitik – denn die Dekarbonisierung wird die gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse grundlegend verändern. Eine gute Klimaberichterstattung behält all das im Blick und bringt es zusammen. So erreicht das Klimathema noch mehr Leser:innen.

Sie zeigt Zusammenhänge auf, beispielsweise zwischen der klimapolitischen Wirksamkeit eines CO2-Preises, seinen sozialen Folgen und möglichen Wegen der Umverteilung, zwischen der Höhe des Preises und seine wirtschaftlichen Auswirkungen auf einzelne Branchen, oder zwischen den Folgen von Hitzewellen auf die Gesundheit der Menschen. Je näher am Alltag des Publikums, desto relevanter kann Klimaberichterstattung sein.

Dörnberg in Hessen. Foto: Pixabay

Fünf Punkte für Klimajournalismus im Lokalen

Lokalzeitungen sind nah bei den Menschen. Katia Backhaus schreibt, welche Chance das für Klimajournalismus bietet und warum ein Friedhofsgärtner ein guter Gesprächspartner ist.

Je näher am Alltag, desto besser.

Redaktionen und ihre Themendiskussionen sind oft ganz schön weit weg von den Leser:innen. Umso wichtiger ist es, ein besseres Gefühl zu bekommen für deren Alltag. Lokalredaktionen haben hier einen unschlagbaren Vorteil.

Viele Verlage haben inzwischen eine Art institutionalisierten Dialog mit ihrer Leserschaft etabliert, beispielsweise durch regelmäßige Diskussionsveranstaltungen oder Redaktionsbesuche. Doch dadurch erhält man nur Feedback von einer eher kleinen, im Zweifel schon recht bekannten – und der Redaktion habituell ähnlichen – Gruppe.

Wenn Klimaberichterstattung die Realität aller Menschen im Land widerspiegeln will, kann das nur bedeuten: Die Recherche draußen ist durch nichts zu ersetzen. Geschieht sie nicht, laufen beispielsweise Journalist:innen aus der Stadt Gefahr, seitenweise über den nötigen Abschied von der Individualmobilität zu schreiben – und dabei zu übersehen, dass die Menschen auf dem Land vielerorts ohne Auto aufgeschmissen sind, und das auf absehbare Zeit auch bleiben werden. Auf dem Land braucht die Verkehrswende eben andere Konzepte, und auf sie kommt man am besten bei Recherchen – auf dem Land.

Rauszugehen ist in der Regel aufwändiger, als nur vom Schreibtisch aus zu arbeiten. Die Möglichkeiten vieler Redaktionen dazu sind begrenzt. Umso wichtiger ist es.

Wir brauchen Lösungen.

Es ist dringend. Um die Erderhitzung aufzuhalten, muss die Welt vollständig raus aus den fossilen Brennstoffen, und zwar möglichst schnell. Und je weiter die Klimakrise fortschreitet, desto mehr müssen wir auch über Anpassung reden. Wie das gehen soll? Es braucht rasch umsetzbare Lösungen, in allen Bereichen der Gesellschaft.

Die Klimakrise zu beschreiben, neue wissenschaftliche Erkenntnisse aufzugreifen, ist wichtig und verdienstvoll. Die größeren Fragen im Moment lauten aber: Wie schaffen wir den Wandel? Wie sieht eine gute Politik dafür aus? Wie weit kommen wir mit neuen Technologien? Wie viel Verzicht wird nötig sein – und was können wir durch ihn gewinnen? Wie wird sich unser Alltag verändern, unsere Lebensweise?

Geschichten darüber gibt es noch viel zu wenige. Vermutlich, weil es noch keine eindeutigen Antworten gibt. Umso spannender und wichtiger – und dringender – ist es, sie zu suchen.

Foto: Number 10

Die Frames in den Köpfen von Klimajournalist:innen

Der Klimajournalismus ist voller Katastrophen- und Kostenrethorik, doch leer an Debatten über gesellschaftlichen Wandel. Das sagt der Forscher Michael Brüggemann – und benennt die Schwachstellen in den täglichen Berichten über neue Studien.

Prägnanz gewinnt.

Journalist:innen beschäftigen sich hauptberuflich mit dem Objekt ihrer Berichterstattung.Leser:innen aber haben anderes zu tun, und damit sind sie in der Regel vollauf ausgelastet. Aufmerksamkeitsspannen schrumpfen, die Konkurrenz ist groß. Wer komplexe Inhalte einfach, knapp und dennoch präzise vermitteln kann, gewinnt.

Die Klimakrise ist global. Die Berichterstattung muss es ebenfalls sein.

Darin liegt ein Widerspruch zur Forderung nach möglichst alltagsnahem Klimajournalismus. Dennoch: Über eine planetare Krise muss auch aus globaler Perspektive berichtet werden. Wir sitzen alle im gleichen Boot. Und die Erderhitzung trifft die Menschen im Globalen Süden, die am wenigsten zu den Ursachen beigetragen haben, besonders unbarmherzig – während die Industriestaaten ihre Verantwortung dafür kaum anerkennen wollen. Das immer wieder zu sagen und zu schreiben, ist eine Frage der Gerechtigkeit.

Weg von der reinen Aufmerksamkeitslogik!

Über Klima wird vor allem dann berichtet, wenn es einen nachrichtlichen Anlass gibt: Extremhitze, Flutkatastrophen, Wirbelstürme, Klimagipfel, die Veröffentlichung eines neuen IPCC-Reports. Das wird der Relevanz der Sache nicht gerecht. Erst recht nicht dem stetigen Fortschreiten der Krise. Das Klima bräuchte einen ständigen Platz in der Berichterstattung – aber die öffentliche Aufmerksamkeit funktioniert nun mal in Zyklen. Bis sich das ändert, bleibt wohl nur: Anlässe nutzen, um auf grundlegende Zusammenhänge aufmerksam zu machen, und auf diese Anlässe möglichst gut vorbereitet zu sein. Ein Beispiel: Gerade planbare Ereignisse wie Klimagipfel bieten sich dafür an, während ihrer Dauer eben nicht nur vom Konferenzgeschehen zu berichten.


Foto: Elfriede Liebenow

Alexandra Endres

… ist freie Autorin für Klima, Umwelt und Lateinamerika. Sie schreibt unter anderem für ZEIT ONLINE. (Persönliche Website)


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