Die Auswirkungen der Sturmflut von 2019 in Laboe. Das Foto entstand im Rahmen der Dreharbeiten für die cossmediale Doku-Reihe #wetterextrem im NDR. Foto: Mathias Sdun / sdun.net
Matthias Sdun ist Filmemacher und Videojournalist. Hier erklärt er, was die filmische Darstellung des Klimawandels in den letzten Jahren vorangetrieben hat – und wie professionelle Medien dabei auch von TikTok und Co. profitieren.
Abbrechende Eisberge, rauchende Fabrikschlote und Eisbären, die auf einer Scholle durchs arktische Meer treiben. Das waren Motive, die in den 90ern und 2000ern die TV-Berichterstattung zum Klimawandel dominiert haben. Im Wesentlichen waren dies Momentaufnahmen, die uns symbolisch zeigen sollten, was die Ursache und was die Wirkung des Klimawandels ist. Wenn man so will ein visueller Spagat von der Industrialisierung bis zum Abschmelzen der Polkappen. Genützt hat das wenig.
Die größte Herausforderung beim Visual Storytelling liegt stets darin, etwas Abstraktes oder Unsichtbares sichtbar zu machen. Wie zeige ich ein unsichtbares Gas wie CO2? Wie veranschauliche ich, dass die Erde seit der Industrialisierung um 1,3 Grad Celsius wärmer geworden ist? Und wie kann ich verdeutlichen, dass unser Wetter immer turbulenter wird?
Vor dieser Frage stand ich 2019, als wir für den Norddeutschen Rundfunk ein mehrteiliges crossmediales Dokuformat für den NDR entwickeln durften. #wetterextrem – Der Norden in der Klimakrise.
Drei technische Entwicklungen der 2010er Jahre kamen uns dabei zu Gute. Erstens: Big Data. Zweitens: Creative Commons. Und drittens: die massive Verbreitung des Smartphones.
Wie Big Data hilft, den Klimawandel zu visualisieren
Wir sind heute in der glücklichen Situation, dass wir Daten unseres Planeten immer besser dokumentieren, speichern und verarbeiten können. Wettersatelliten liefern immer präzisere Daten über die weltweite CO2 Konzentration, Wolkendichte und Temperaturveränderungen. Hinzu kommt, dass sowohl die NASA und die ESA, als auch die meteorologischen Organisationen wie NOAA oder der DWD Wetterdaten zur freien Nutzung im Netz verfügbar machen.
Mit Hilfe dieser Daten lassen sich animierte Infografiken erstellen, die mir in Sekundenschnelle verdeutlichen können, wie sich Temperaturen über Jahrzehnte weltweit entwickelt haben. So bereitet man Informationen anschaulich auf und macht auf unaufgeregte, sachliche Art deutlich, dass hier dringend etwas getan werden muss.
Häufig kamen diese Datenvisualisierungen nicht von Journalist*innen sondern von ambitionierten Meteorolog*innen. So wie Anti Lipponen. Anfang 2020 machte er mit einer Grafik auf Twitter deutlich, wie stark das Fieber mittlerweile ist, in das wir unseren Heimatplaneten versetzt haben.
Anti Lipponen stellt seine Visualisierungen wie viele andere Wissenschaftler*innen und Künstler*innen mit einer Creative Commons Lizenz zur Verfügung. So kann jede*r kostenfrei auf seine Infografiken zurück greifen, sie einbetten oder für die redaktionelle Berichterstattung verwenden.
Was ist neu an dieser Art des Visual Storytellings? Hierbei handelt es sich eben nicht mehr um Prognosen, die eventuell in ferner Zukunft eintreten. Die Beispiele verarbeiten amtlich dokumentierte Daten. Sie zeigen, was bis jetzt faktisch passiert ist. Und sie verdeutlichen auf beeindruckende Weise, dass die Klimakrise seit der Jahrtausendwende deutlich an Fahrt aufgenommen hat. Vielleicht sind es genau diese visuellen Elemente, die uns endlich begreifbar machen, an welchem Punkt wir heute stehen.
Das Smartphone als kollektives visuelles Gedächtnis
Mit dem Handy dokumentieren wir unser Leben. Die Foto- und Videofunktion hat sich in den vergangen zehn Jahren deutlich verbessert und damit lassen sich gute Bilder einfangen. So sehen wir heute in den Nachrichten immer häufiger Videos von Katastrophen, die Augenzeug*innen mit ihrem Smartphone gedreht haben. Noch in den 2000ern hatte das absoluten Seltenheitswert. Wer hatte schon eine Kamera in der Tasche, wenn plötzlich ein Tornado durch die Dorfstraße fegte.
Heute ist es eher unwahrscheinlich, dass in so einer Situation gerade niemand das Handy parat hat. Evgenia Gertel filmte diesen Augenblick der Hochwasserkatastrophe in Ahrweiler 2021 und postete das Video bei TikTok. Über ihre Musikauswahl lässt sich streiten. Fakt ist: das Video wurde allein bei TikTok 6 Millionen Mal aufgerufen (Stand 1. November 2021). Es wurde kurz nach dem Ereignis von mehreren TV-Sendern übernommen.
Die technische Entwicklung geht soweit, dass wir in vielen Ländern der Erde das Ereignis auch live auf einem der sozialen Netzwerke streamen könnten. Nur in Deutschland könnte es hier und da wegen unseres schlechten Netzausbaus Probleme geben. Aber das ist ein anderes Thema.
Wir brauchen (auch) konstruktive Bilder
Kurzum: Extremwetterphänomene wurden niemals besser und unmittelbarer in bewegten Bildern festgehalten. Die Wucht solcher Ereignisse macht uns deutlich, wie schnell ein Starkregen und ein Sturzbach unser Hab und Gut zerstören oder uns sogar das Leben nehmen kann. Die Bilder verbreiten sich in rasender Geschwindigkeit wahlweise über Instagram, TikTok, YouTube, Facebook, Twitter und schaffen es so auch in die Hauptnachrichten der klassischen Massenmedien. Zugleich bekommen wir eine Vorahnung davon, was in den kommenden Jahrzehnten auf uns zukommt, wenn wir nicht heute handeln.
Wir dürfen im Visual Storytelling aber nicht den Fehler machen und einseitig auf beängstigende Datenvisualisierungen und schockierende Handybilder setzen. Wer das sieht, verfällt selten in spontanen Aktionismus und wird noch am gleichen Tag zum Klimaretter. Schock-Bilder verursachen eher eine Schockstarre in uns.
Stattdessen muss es darum gehen, auch Lösungswege zu visualisieren. Das klappt, wenn ich Menschen zeige, die ganz konkret etwas gegen die Klimakrise tun. Birgit Schneider hat dies in ihrem Beitrag eindrucksvoll beschrieben. „Konstruktiver Journalismus“ heißt eine Bewegung innerhalb des Journalismus, die eben nicht nur Probleme benennt, sondern auch Lösungen aufzeigt.
Wir brauchen neue Klimabilder!
Bebildern Medien das Klimathema realistisch? Und zeigen diese Bilder einen Weg aus der Krise? Die Kunst- und Medienwissenschaftlerin Birgit Schneider hat begründete Zweifel und drei Forderungen für neue Klimabilder.
Die Geschichte zählt
Begreifbar und verständlich wird der Kampf gegen die Klimakrise für uns, wenn wir Menschen dabei zusehen können, wie sie sich ganz konkret dieser Aufgabe oder Herausforderung stellen. Hier sind wir beim klassischen Storytelling: unser Hirn verarbeitet Informationen am besten in Form von Geschichten. Wir entwickeln Empathie für Menschen, die sich gegen eine Ungerechtigkeit stellen, welche die Ärmel hoch krempeln und gegen eine Bedrohung ankämpfen.
Ein häufiges Erzählmuster dreht sich seit Kurzem um die Frage: Wie spare ich CO2 ein? Konkret erzählen lässt sich das an Vorgängen unseres Alltags: wie ernähre ich mich? Wie bewege ich mich von A nach B? Wie heize ich meine Wohnung oder mein Haus? Hier haben sich eine Vielzahl von Erzählungen entwickelt, die wir auf unterschiedlichsten Plattformen erleben und erfahren können.
Neben TV oder Social Video Formaten finde ich hier vor allem Apps spannend: sie geben uns Leitfäden an die Hand, um den eigenen Alltag klimafreundlicher zu gestalten und so ein Bewusstsein bei jede/r/m Einzelnen zu schaffen. Kritiker pflegen an dieser Stelle zu sagen, dass der Aufwand jedes Einzelnen nichts bringt.
Das stimmt und doch stimmt es nicht. Mein Beitrag zur CO2 Einsparung mag gering sein. Mein Problembewusstsein wächst jedoch beträchtlich.
Und aus eben diesem Bewusstsein entstehen kollektive Phänomene wie Fridays for Future. Sie fördern den politischen Diskurs. Frei verfügbare Daten und Datenvisualisierungen wie die von Wissenschaftler*innen wie Anti Lipponen helfen uns dabei, unser kollektives Bewusstsein weiter zu entwickeln.
Und aus diesem Bewusstsein entstehen demokratische Mehrheiten und politischer Handlungsdruck. Dieser Druck wiederum hat in den vergangen drei Jahren weit mehr bewegt als in den dreißig Jahren davor.
Matthias Sdun
… ist Filmemacher und Videojournalist. Er produziert Dokumentationen und Reportagen für Web, Fernsehen und die sozialen Medien – und gibt sein Wissen als Trainer weiter. (Website)
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