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Das Klima hat die Primetime verdient

Die Initiative KLIMA° vor acht fordert eine tägliche Klima-Sendung in den Öffentlich-Rechtlichen. Foto: Screenshot

Die Initiative KLIMA° vor acht fordert eine tägliche Klima-Sendung in den Öffentlich-Rechtlichen. Foto: Screenshot

In Zeiten der Klimakrise kommt eine Sendung wie die „Börse vor acht“ einem Versagen von ARD und ZDF gleich, schreibt Friederike Mayer. Sie ist sich sicher, dass es bis zu KLIMA° vor acht aber nur noch eine Frage der Zeit ist.


19:55 Uhr im Ersten Deutschen Fernsehen: Eine animierte Weltkugel erscheint auf blauem Bildschirm, kurzer Jingle, Anmoderation, dann begrüßt die Moderatorin im Studio die Zuschauer:innen des linearen Fernsehens auf ihren Sofas: Herzlich willkommen zu KLIMA° vor acht! Es folgen drei bis fünf Minuten kompakte, verständliche Informationen zu einem Klimathema: auf wissenschaftlicher Basis und allgemeinverständlich. Danach dann: die “Tagesschau”.

So könnte es aussehen, das zeitgemäße Fernsehen. Ein Fernsehen, das sich der nie dagewesenen Herausforderung stellt, vor der unsere Gesellschaft in der Klimakrise steht. Ein Fernsehen, das die Krise als solche begreift und behandelt. Und nicht zuletzt: Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der sich seines Informations- und Bildungsauftrags bewusst ist. 

Doch dieses Fernsehen ist noch nicht in Sicht. Als die Initiative KLIMA° vor acht im Jahr 2020 öffentlich ein neues Klimaformat forderte, hieß es vonseiten der ARD, Klimaschutz sei “vielleicht ein hehres und richtiges Ziel”, die Initiative aber “trotzdem erstmal eine parteiische Interessengruppe”. Auch der Intendant des ZDF äußerte sich später ablehnend: “Klima ist wichtig, aber danach kommt das nächste Thema.” Diese Aussagen offenbaren eine erschreckende, geradezu besorgniserregende Ahnungslosigkeit von der Dimension der Klimakrise bei den Verantwortlichen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Es geht um mehr als den Neuigkeitswert

Dabei ist es doch gar nicht so schwer: Der Verein KLIMA° vor acht hat sich im Jahr 2020 mit einer einzigen Forderung an die Öffentlich-Rechtlichen gegründet: Ein kurzes, tägliches TV-Format zu Klimathemen zu entwickeln und zur besten Sendezeit auszustrahlen. Was bedeutet das genau?

Es ist nicht so, dass es keine guten Sendungen zur Klimakrise gäbe, auch und gerade im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Nur verstecken sich die gut recherchierten Dokumentationen zur Klimakrise aus falscher Quotenangst allzu oft auf unbeliebten Sendeplätzen – kaum geeignet, um ein breites Publikum zu erreichen. Wenn die Klimakrise und ihre Folgen prominent im öffentlich-rechtlichen Fernsehen behandelt werden, dann handelt es sich meist entweder um Extremwetterereignisse und ihre unmittelbaren Folgen oder Klimakonferenzen und andere politische Ereignisse. Gut erkennbar wird das aus einer umfangreichen Auswertung der öffentlich-rechtlichen Programmdaten von KLIMA° vor acht: 

Anzahl von ARD- und ZDF-Sendungen mit Bezug zum Klimawandel von 2016 bis heute. Grafik: KLIMA° vor acht

Die Berichterstattung zum Klima folgt dabei der üblichen Medienlogik, die den Nachrichtenwert als Neuigkeitswert definiert. Doch die Klimakrise ist ein komplexer, langfristiger Prozess, dessen Auswirkungen sich nicht auf Extremwetterereignisse beschränken. Und obwohl gerade die Wettermoderatoren bei ARD und ZDF immer nachdrücklicher auf die Zusammenhänge hinweisen – die Klimakrise darf nicht nur im Wetterbericht stattfinden: Sie hat Auswirkungen auf sämtliche Bereiche unseres Lebens, auf die Gesundheit, den Arbeitsmarkt, Infrastruktur, Migration, um nur einige zu nennen.

Foto: Number 10

Die Frames in den Köpfen von Klimajournalist:innen

Der Klimajournalismus ist voller Katastrophen- und Kostenrethorik, doch leer an Debatten über gesellschaftlichen Wandel. Das sagt der Forscher Michael Brüggemann – und benennt die Schwachstellen in den täglichen Berichten über neue Studien.

Primetime für Börse, Wissen, Wetter – und Klima?

Tatsächlich gibt es keinen einzigen Bereich, der von ihren unmittelbaren und mittelbaren Folgen verschont bliebe. Abgebildet wird das allerdings in der gegenwärtigen Berichterstattung nicht. Obwohl – oder gerade weil – Klimathemen in jedes Ressort fallen, fallen sie de facto oft durch das Raster. Bis es so weit ist, dass die Zusammenhänge auch im Kultur-, Sport-, oder Gesundheitsressort mitgedacht und aufgezeigt werden, braucht es ein tägliches Format, das angemessen informiert, einordnet und aufklärt – zur besten Sendezeit.

Bei der ARD ist die “Viertelstunde vor acht” ein sehr Reichweiten-starker Sendeplatz. Hier laufen Sendereihen wie “Wissen vor acht”, “Wetter vor acht” und ”Börse vor acht”; Zuschauer:innen, die auf die “Tagesschau” warten, werden hier wie nebenbei informiert – nicht ohne Grund gehören die Werbeplätze in diesem Zeitraum zu den teuersten überhaupt. Welche Art von Information zu dieser Sendezeit präsentiert wird, macht deswegen einen gewaltigen Unterschied.

Das Festhalten an einem Format wie “Börse vor acht” kommt in Zeiten der eskalierenden Klimakrise einem Versagen gleich

Friederike Mayer

Die ARD legt seit zwei Jahrzehnten an jedem einzelnen Werktag die Priorität auf Aktienkurse – und damit auf ein Thema, das nur für einen Bruchteil ihrer Zuschauer:innen relevant sein dürfte. Die Auswirkungen der Klimakrise dagegen betreffen ohne Ausnahme jede:n Einzelne:n. Das Festhalten an einem Format wie “Börse vor acht” kommt in Zeiten der eskalierenden Klimakrise einem Versagen gleich – und steht in einem krassen Missverhältnis zum öffentlich-rechtlichen Auftrag, „einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben“ (Rundfunkstaatsvertrag Abschnitt 2 § 11 Satz 1).

Zwei Typen von Sendungen: Aktuelles und Hintergrund

Wie könnte ein tägliches Format zum Klima aussehen? KLIMA° vor acht hat sechs Beispiel-Folgen in TV-Qualität produziert, die auf YouTube veröffentlicht wurden.  Sie sollen als Inspiration und Motivation für die Öffentlich-Rechtlichen dienen, selbst ein ähnliches Format zu entwickeln und umzusetzen. Unser Konzept basiert auf zwei unterschiedlichen Typen von Sendungen: 

  1. Hintergrundwissen: Hier werden komplexe Zusammenhänge und grundlegendes Wissen über Klimathemen vermittelt. Zum Beispiel ging es um die Bedeutung von Mooren für den Klimaschutz, das Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes und die Attributionsforschung. Diese Sendungen können vorproduziert werden.
  1. Aktuelle Berichterstattung: Diese Sendungen erklären aktuelle Ereignisse und ordnen sie ein. Das können politische oder wirtschaftliche Entwicklungen sein oder auch Extremwetterereignisse. Die Sendungen werden (tages-)aktuell produziert, und sind damit reduzierter gestaltet als die Hintergrundsendungen. Unsere Beispiel-Folgen beschäftigen sich mit der LKW-Abwrackprämie und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Da wir nicht aktuell produzieren konnten, haben wir die Sendungen fiktiv zurückdatiert.
Die erste, hintergründige Folge von KLIMA° vor acht beschäftigte sich mit der Klimawirkung von Mooren. Video: KLIMA° vor acht

Finanziert wurde die Produktion über ein Crowdfunding: Mehr als 800 Menschen hatten dafür insgesamt 46.000 Euro gespendet. 

Alle Sendungen wurden von externen Expert:innen wissenschaftlich überprüft. Dass ein Format wie KLIMA° vor acht wissenschaftlich fundiert sein muss, war für uns eine Selbstverständlichkeit – bei den Öffentlich-Rechtlichen ist dieser Anspruch bei dem Thema keineswegs gegeben. So behauptete der Chef der ZDF-Umweltredaktion erst kürzlich fälschlicherweise, der Bau moderner Kohlekraftwerke in Indien und Afrika würde den Klimaschutz voranbringen – und dass der IPCC dies empfehlen würde (was nicht stimmt). Es hagelte Programmbeschwerden, darunter auch eine von KLIMA° vor acht. Der ZDF-Intendant sprach daraufhin von einem angeblichen “Missverständnis”. Doch leider ist das kein Einzelfall.

Konstruktiv statt Katastrophe

Die Berichterstattung zum Klimawandel in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist eine Geschichte des Medienversagens – auch bei den Öffentlich-Rechtlichen. Dazu gehören unzählige Talkshows, in denen unqualifizierte Klimafaktenleugner neben bedauernswerte renommierte Wissenschaftler:innen gesetzt wurden, um möglichst viel “Kontroverse” zu erzeugen. Die False Balance, die so entstand, war für die Wahrnehmung des tatsächlichen Forschungsstands verheerend. Und noch immer fragen die Talkshows – sofern sie sich mal des Themas annehmen – danach, wie schlimm es denn nun wirklich ist. Anstatt die Frage zu stellen: Was tun wir jetzt? 

Grundsätzlich lag und liegt der Fokus bei der Berichterstattung übers Klima auf Katastrophenmeldungen. Dabei zeigt die Forschung, was das auslöst beim Menschen: Resignation. Kognitive Dissonanz. Ablehnung. Ohnmacht

Die Berichterstattung zum Klimawandel in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist eine Geschichte des Medienversagens – auch bei den Öffentlich-Rechtlichen.

Friederike Mayer

Das Format KLIMA° vor acht setzt deswegen auf konstruktiven Journalismus: Lösungswege und Handlungsoptionen aufzeigen. Die Sendung über Moore verdeutlichte nicht nur, wie wichtig Moore für den Klimaschutz sind, sondern bot auch eine einfache Lösung: trockengelegte Moore können wieder vernässt werden. Die Paludikultur ist dabei eine Möglichkeit, wie man sie sogar wirtschaftlich nutzen kann. Die Attributionsforschung, eine relativ neue Disziplin der Klimawissenschaft, berechnet den Zusammenhang einzelner Extremwetterereignisse mit der Klimakrise – und kann damit bei Klimaklagen in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Konstruktiver Journalismus bedeutet aber nicht nur, Lösungen aufzuzeigen, er hilft auch dabei – wie beim Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes – ein komplexes Phänomen besser einzuordnen.

Karsten Schwanke im Wetterstudio. Foto: ARD / Ralf Wilschewski

Wetterbericht schlägt Talkshow

Im Wetter wird der Klimawandel für alle spürbar. Der ARD-Meteorologe Karsten Schwanke erklärt, wie er in 45 Sekunden Wetterbericht den Zusammenhang aufzeigt – und was er sich in Sachen Klima von seinem Sender wünscht.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit

Die Klimakrise ist (neben dem Artensterben) die unzweifelhaft größte Herausforderung für die gesamte Menschheit. Und es gilt, was unzählige Wissenschaftler:innen immer wieder mantraartig wiederholen: Jedes Zehntel Grad Erwärmung zählt. Alles, was wir jetzt tun – oder unterlassen zu tun – hat weitreichende Konsequenzen über einen unfassbar langen Zeitraum hinweg. Wenn wir als Gesellschaft entscheiden wollen, welche Maßnahmen wir ergreifen, dann müssen wir auch umfassend und qualitativ hochwertig informiert werden. Höchste Zeit also, dass sich etwas ändert in der deutschen Fernsehlandschaft. Ein Format wie KLIMA° vor acht ist nicht nur zeitgemäß, es ist überfällig. 

So könnte dieser Text enden. 

Oder aber so:

Den offenen Brief, den der Verein KLIMA° vor acht an den ARD-Vorsitzenden Tom Buhrow richtete, haben bis heute über 20.000 Menschen unterschrieben. Darunter sind 180 prominente Erstunterzeichner:innen aus Wissenschaft, Kultur und Medien. Nach monatelanger Kampagne und öffentlichem Druck hat die ARD sich schließlich zu Gesprächen bereit erklärt (die vorerst ergebnislos endeten). Vertreter:innen von KLIMA° vor acht werden regelmäßig zu Vorträgen und Diskussionsrunden eingeladen. Verschiedene Sender aus dem deutschsprachigen Ausland sind auf uns zugekommen, um mehr über das Sendekonzept zu erfahren. Und während es bei der ARD noch etwas dauert, hat mit RTL ein erster Fernsehsender sich von der Idee zu einminütigen, regelmäßigen Klimasendungen inspirieren lassen. An der Konzeption dieses “Klima Updates” war der Verein KLIMA° vor acht beteiligt.  

Ein Format wie KLIMA° vor acht ist längst überfällig – aber es ist auch nur noch eine Frage der Zeit, bis es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen läuft.


Foto: Privat

Friederike Mayer

… arbeitet als freie Journalistin und ist Mitgründerin und Pressesprecherin von KLIMA° vor acht e.V.


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