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Die Frames in den Köpfen von Klimajournalist:innen

Foto: Number 10

Klimakonferenzen sind die jährlichen Highlights im Klimajournalismus – mit den immer gleichen Deutungen und Narrativen. Foto: Number 10 auf flickr.com

Der Klimajournalismus ist voller Katastrophen- und Kostenrethorik, doch leer an Debatten über gesellschaftlichen Wandel. Das sagt der Forscher Michael Brüggemann – und benennt die Schwachstellen in den täglichen Berichten über neue Studien.


Herr Brüggemann, Sie beobachten mit dem Online Media Monitor die Intensität der Klima-Berichterstattung im Laufe der Zeit. Wie hat diese sich in den letzten Monaten entwickelt?

Als sich die pandemische Lage in Deutschland im Sommer zwischenzeitlich beruhigt hatte, ist das Klimathema in die Berichterstattung zurückgekommen. Trotzdem haben wir uns vor der Bundestagswahl nicht auf einem besonders hohen Niveau bewegt. In den beobachteten Medien wie Spiegel Online, tagesschau.de oder sz.de – alles Qualitätsmedien – tauchte durchschnittlich in nur zwei bis drei Prozent der Artikel das Wort Klimawandel auf. Wobei das auch bloße Erwähnungen sein können. Insgesamt ist die Berichterstattung schon lange schwächer, als sie es von 2007 bis 2010, also bis kurz nach der gescheiterten Klimakonferenz von Kopenhagen, war. Bis Mitte diesen Oktobers. Rund um die COP26 in Glasgow war die Klima-Berichterstattung nun tatsächlich so stark wie seit 12 Jahren nicht mehr.

Rund um die COP26 war die Klima-Berichterstattung so intensiv wie lange nicht mehr. Grafik: The Climate Debate Watch Blog

Der Klimawandel ist aber auch kein besonders leichtes Thema. In den Sozialwissenschaften wird er als „super wicked problem“ bezeichnet. Was bedeutet das für Klimajournalismus?

Für Journalisten gilt wie für alle anderen, keine schnellen Wundermittel gegen den Klimawandel zu erwarten. Wir können ihn nicht mehr zurückdrehen, sondern ihn nur noch eindämmen und uns an ihn anpassen. Dafür müssen wir als Gesellschaft etwa unsere Wirtschaftsordnung ökologisch umbauen. Und entsprechend ist der Klimawandel auch für die Medien ein dauerhaftes Querschnittsthema, wie es ansonsten meinetwegen das Wirtschaftswachstum ist. Die Frage sollte nicht nur sein „Was bedeutet eine Entscheidung für die Arbeitsplätze?“, sondern auch „Was bedeutet sie für den Klimaschutz?“.

Sehen Sie den Klimajournalismus in Deutschland auf diesem Niveau?

Nein, überhaupt nicht. Es gibt zwar herausragende spezialisierte Berichterstattung, aber in der Breite der Medienlandschaft und vor allem außerhalb der Wissensressorts ist der Klimawandel noch kein Thema. In den Politikressorts wird er sehr gut und intensiv behandelt, wenn Korrespondentinnen oder der Korrespondenten von einer Klimakonferenz wie gerade der COP26 berichten. Aber danach wird die große, strukturelle Herausforderung Klimawandel wieder verdrängt durch Nebensächlichkeiten in der nationalen Politik, dem Klein-Klein des politischen Personalkarussells und anderem. Dabei ist das Problem nicht mal „nur“ der Klimawandel, sondern auch die Zerstörung der Artenvielfalt, die Verschmutzung von Luft, Wasser und Böden, die ausufernde Landnutzung, etc. Das hängt in seinen Folgen und auch Lösungen eng zusammen. Bisher vernachlässigen Journalisten diese Zusammenhänge sehr.

Michael Brüggemann über Irrtümer in der Klima-Berichterstattung. Video: KLIMA° vor acht

Kognitive Frames prägen die Klima-Berichterstattung

Sie haben vor ein paar Jahren in einer Studie untersucht, wie Journalistinnen und Journalisten den Klimawandel kognitiv interpretieren. Wieso das?

Genau wie jeder Mediennutzer, hat jeder Journalist einen Frame zum Klimawandel im Kopf. Also ganz individuelle Metaphern, Bilder, Vorstellungen von Problemen und Lösungen. Diese prägen, wie ein Journalist über den Klimawandel berichtet. Selbst wenn er neutral zu sein versucht, ist er es nicht.

Welche Frames haben Sie festgestellt?

Zuerst gibt es einen Master-Frame, den wir auf Grundlage der Datenerhebung von 2011 und 2012 „Anthropogener Klimawandel“ genannt haben. Bis auf zwei, drei Ausnahmen haben alle Journalisten, die wir damals befragt hatten, den Klimawandel als existent und menschengemacht anerkannt und kannten auch grundsätzlich den Forschungsstand. Daran hat sich nichts geändert. Danach beginnen aber schon die Unterschiede. Verschiedene Inhaltsanalysen haben zum Beispiel die folgenden Frames gefunden:

  • Zuerst gibt es einen Konflikt-Frame, bei dem Journalisten den Klimawandel als einen großen Streit zwischen Leugnern und Warnern mit teils absurd verzerrten Positionen beschreiben.
  • Es gibt den Unsicherheits-Frame, demzufolge man gar nicht wüsste, wie schlimm der Klimawandel ist und man deshalb erst einmal mehr Forschung bräuchte. Das wird gerne instrumentalisiert, um beim Klimaschutz zu bremsen.
  • Sehr wichtig ist der Ökonomie-Frame, den es in zwei Ausprägungen gibt. Entweder heißt es, dass der Klimaschutz sehr teuer wird, oder andersrum, dass Tatenlosigkeit gegen den Klimawandel sehr teuer wird.
  • Geradezu klassisch ist der Katastrophen-Frame, demzufolge eine Zukunft mit den Folgen des Klimawandels ganz schlimm wird.
  • Umgekehrt verspricht der Fortschritts-Frame, dass wir den Klimawandel durch Geo-Engineering und andere tolle Technologien schon noch in den Griff bekommen.
  • Ein seltener Frame ist die Vorstellung einer großen Transformation – entweder inklusive einer radikalen Umgestaltung des Kapitalismus oder, häufiger, durch eine von oben gesteuerte Modernisierung der Gesellschaft in kleinen Schritten.

Kein Blick für strukturelle Ursachen

Inwiefern gibt es besonders dominante oder im Trend liegende Frames?

Die ökonomische Perspektive und der Blick auf Risiken und finanzielle Schäden durch den Klimawandel sind sehr stark. Es wird auch gerne berichtet über nachhaltige Leuchtturmprojekte oder Firmen, die eine besonders innovative Technologie anbieten. Was hingegen erstaunlicherweise ein blinder Fleck in der Berichterstattung ist, das ist der kapitalismuskritische Frame, der sagt, dass wir unsere Gesellschaft und Wirtschaft wirklich grundlegend verändern müssen. Der also an die Wurzel einiger Probleme geht und etwa auch die Idee des ständigen Wachstums infrage stellt.

Journalisten sind jahrelang auf das Bild der Klimakanzlerin und Deutschlands als Vorbild im Klimaschutz hereingefallen.

Michael Brüggemann

Warum kommt dieser in der Klima-Berichterstattung nicht vor?

Weil Journalisten doch recht stark den Aussagen der politischen Eliten folgen. Und keine Partei stellt derart grundsätzliche strukturelle Fragen. Natürlich gibt es eine diverse Berichterstattung, aber insgesamt ist Journalismus doch häufig passiver, als man es sich wünschen würde. Journalisten sind jahrelang auf das Bild der Klimakanzlerin und Deutschlands als Vorbild im Klimaschutz hereingefallen. Das war Deutschland aber nie, weder zuhause, noch in internationalen Verhandlungen.

Zeitungen haben unterschiedliche Blattlinien.Foto: Jonas Mayer

Die gute Sache als Blattlinie

Es gibt Streit, ob und wie aktivistisch Klimajournalismus sein darf. Die Medienethikerin Marlis Prinzing blickt auf verschiedene Blattlinien und erklärt, was sie selbst für die beste Grundhaltung hält.

Gewohnte Nachrichtenwerte als Schwachstelle

Aber immerhin den klimaleugnenden Hoax-Frame gibt es nicht mehr.

Bei Journalisten gab es den nie wirklich abgesehen von einzelnen Kolumnisten, häufig bei konservativen Medien. Nur bei besonders polarisierenden politischen Akteuren wie Donald Trump oder auch einigen AfD-Politikern finden wir diese Deutung, dass der anthropogene Klimawandel nicht existiert, nicht menschengemacht oder halb so schlimm ist.

Welche dann von den Medien eine Bühne bekommen.

Das Einfallstor für die Leugnung des Klimawandels in der Berichterstattung war die „false balance“. Die Journalisten selbst wissen zwar, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt, möchten aber richtigerweise ausgewogen berichten und verschiedene Seiten zu Wort kommen lassen. Die Faktenlage zum Klimawandel ist aber seit 30 Jahren klar. Wenn Klimaleugner zitiert werden oder in Sendungen mitdiskutieren dürfen, spricht man deshalb von einer falschen Ausgewogenheit. Die war lange ein Problem, welches aber kleiner geworden ist. Die Leugnung des Klimawandels schafft es nicht mehr als neutrale wissenschaftliche Position, sondern nur noch über Provokationen und die Verletzung von Normen in die Berichterstattung. Da zeigt sich eine weitere Schwachstellen im Journalismus.

Welche ist das?

Der Negativismus und Konflikte als Nachrichtenfaktoren. Wenn ich etwas Dummes, aber Extremes und Negatives sage, komme ich damit sicher in die Medien. Eben weil ich damit Normen verletze. So haben Journalisten auch Donald Trump und die AfD mit groß gemacht, weil sie sich nicht trauen, offensichtlich unsinnige und irrelevante Dinge aus der Berichterstattung herauszuhalten.

Zwei neue Ansätze

Der Hoax-Frame ist Vergangenheit. Was kommt stattdessen?

Über die letzten Jahre haben sich zwei Ansätze entwickelt. Der eine ist die Idee des Konstruktiven Journalismus, der sich auf Lösungen, etwa auch für Klimaschutz, konzentriert. Damit verbunden ist unser Konzept des Transformativen Journalismus. Dabei ist die Frage, ob Journalisten überhaupt neutral und einigermaßen frei von Werten berichten müssen oder ob sie aktiv die ökologische Transformation fördern können. Das läuft dem klassischen Bild des neutralen Beobachters zuwider. Beide Trends bekommen langsam mehr Aufmerksamkeit, sind aber noch ein Randphänomen. Journalismus ist ja nicht nur ZEIT oder Süddeutsche Zeitung, sondern auch BILD, Privatfernsehen, Regionalmedien, und so weiter. Negativismus, Katastrophen, Konflikte – das ist insgesamt noch immer das journalistische Kerngeschäft.

Foto: Clement Dorval / Ville de Paris

Journalismus gegen die Klimaangst

Das Klimathema macht müde oder gar ängstlich. Die Neurowissenschaftlerin und Medienpsychologin Maren Urner kennt ein Gegenmittel und kritisiert den Versuch vermeintlicher journalistischer Objektivität als Feigenblatt.

Inwiefern verstärken Ereignisse wie die Flutkatastrophe im Sommer das?

Journalismus ist ganz stark von solchen Ereignissen abhängig. Vor allem, wenn sie interessante Bilder produzieren. Darüber zu berichten ist schließlich das Kerngeschäft der Medien. Es sind nicht die strukturellen Probleme. Im Fall von Extremwetter ist der Katastrophen-Frame sehr präsent. Im Fall einer Klimakonferenz eher die Frames von Ökonomie und ökologischer Modernisierung. In jedem Fall werden sie quasi unbewusst aktiviert – und spätestens nach ein paar Wochen genauso deaktiviert.

Mehr kritisch nachfragen und einordnen

Auch wenn der Klimawandel eigentlich ein Querschnittsthema ist, hat er seinen Platz bisher vor allem im Wissenschaftsjournalismus. Wie bewerten Sie dessen Verhältnis zur Klimawissenschaft?

Ich sehe zwei Probleme. Erstens, dass Journalisten bei Wissenschaftsthemen weniger als in anderen Feldern kritisch nachfragen können, weil es den Journalisten teils selbst an Fachkompetenz fehlt. Zweitens, dass häufig nur aus einer Quelle, etwa einer neuen Studie, berichtet wird, ohne weitere Stimmen dazu einzuholen. Das ist natürlich keine gute Recherche, denn Wissenschaft ist nicht eine einzelne, sondern die Summe vieler Studien. Sich die anzugucken ist allerdings aufwändiger, als nur eine Pressemitteilung eines großen Journals wie „Nature“ oder „Science“ abzuschreiben – was nach meiner Beobachtung viel vorkommt.

Außerdem gibt es in den Details der Klimawissenschaft immer Unsicherheiten. Diese werden etwa in den IPCC-Berichten auch gekennzeichnet. Inwiefern ist das in der Klima-Berichterstattung ausreichend abgebildet?

Da gibt es ein Riesenproblem. Nämlich, dass etwa das Vokabular des Weltklimarates in der breiten Bevölkerung systematisch missverstanden wird. Wenn ich als Forscher sage, etwas ist „sehr wahrscheinlich“ und meine damit eine Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent, dann haben viele eher 60 Prozent im Kopf. Journalismus muss stärker erklären, was die Aussagen von Forschern genau bedeuten. Zum Beispiel mit Vergleichen. Würde ich in ein Flugzeug steigen, dass mit 30 bis 50 Prozent Wahrscheinlichkeit abstürzt? Auf keinen Fall. Wenn der Klimawandel mit 30 bis 50 Prozent Wahrscheinlichkeit diese und jene extreme Folge haben wird, macht uns das aber nichts aus. Journalisten müssen hier bessere Einordnungen liefern.

Die Klimakonferenz in Glasgow ist beendet. Geht die Klima-Berichterstattung jetzt wieder auf Talfahrt?

Aus der Erfahrung der letzten Jahre ist das wahrscheinlich. Zumindest bis zum nächsten IPCC-Bericht im kommenden Jahr. Und das ist schade, denn ab jetzt müssten Journalisten ganz genau schauen, ob und wie die Beschlüsse von COP26 denn tatsächlich umgesetzt werden.


Foto: Matthias Oertel

Michael Brüggemann

… ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg. Seine Schwerpunkte sind Klima- und Wissenschaftskommunikation sowie Journalismusforschung. Er leitet außerdem den The Climate Debate Watch Blog.


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