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Im Klimajournalismus haben 2022 speziell Lokalmedien Fortschritte gemacht. Ihnen gelingt, woran die großen Wissensressorts und aufwändige Dokus oft scheitern.
Erinnern Sie sich noch, was vor einem Monat bei der Klimakonferenz entschieden wurde? Oder in welchen Staaten im Sommer Dürren, Feuer und Überflutungen wüteten? Oder an die wichtigen Sachstandsberichte des IPCC aus dem ersten Halbjahr?
Ich wage zu behaupten: Nein, Sie erinnern sich nicht. Weil Sie in den Medien zu wenig davon informiert gelesen, gesehen, gehört haben. Zwischen dem Krieg in der Ukraine und der Energiekrise, zwischen Inflation, den Aktionen der Letzten Generation und der Fußball-Weltmeisterschaft ist die Klimakrise durch die Medien weitgehend missachtet worden – wieder einmal.
Dabei mangelte es nicht an Appellen, Diskussionsrunden und Öffentlichkeitsarbeit für eine engagierte Klima-Berichterstattung. Die Charta des Netzwerks Klimajournalismus Deutschland wurde mittlerweile von rund 280 Journalist:innen unterzeichnet. KLIMA° vor acht hat ein dickes Buch herausgebracht: „Medien in der Klimakrise“. Und dann ist – weniger beachtet – noch etwas spannendes passiert: Die Saarbrücker Zeitung hat beim K3 Kongress in Zürich einen Preis für Klimakommunikation gewonnen.
Klimakrise in Saarbrücken, Frankfurt, Augsburg, …
Im Lokalteil für Saarbrücken produziert die Redakteurin Aline Pabst seit dem Sommer 2021 einmal wöchentlich eine Schwerpunktseite „Klima & Umwelt“. Darauf zu lesen sind Erklärstücke zur Klimakrise, Expert:innen-Interviews und und Geschichten von Menschen, die sich lokal für Klimaschutz einsetzen. Beim K3 Kongress sagte Pabst: „Mein Ziel war es, den globalen Themenkomplex Klimawandel auf die lokale Ebene zu bringen, eine regelmäßige Berichterstattung zu etablieren und damit vor allem auch solche Leser zu erreichen, die sich bisher noch nicht damit beschäftigt haben.“
Die Schwerpunktseite in der Saarbrücker Zeitung ist ein besonders frühes Beispiel, womöglich sogar ein Startschuss, für die Re-Lokalisierung des Klimajournalismus in Deutschland. Denn in 2022 sind einige Initiativen dazugekommen.
Die Frankfurter Rundschau etwa druckt sogar täglich eine Klimaseite. Auch sh:z hat ein Klima-Ressort sowie Klima-Verantwortliche in den anderen Ressorts. Die Augsburger Allgemeine hat einen regelmäßigen „Klimaausblick“ gestartet. Und immer wieder entstehen einzelne starke Geschichten im Rahmen des Netzwerks CORRECTIV.Lokal.
„Show don‘t tell“ in Bestform
Diesen Lokalmedien und Netzwerken gelingt, wobei große Medienhäuser nach Ansicht vieler Forschender seit Jahren kollektiv versagen: Das Abstrakte mit dem Konkreten, die wissenschaftliche mit der gelebten Realität der Klimakrise zu verbinden – und des Klimaschutzes.
Denn die Ursachen und Folgen der globalen Klimakrise sind maximal lokal. Die bisherige Erderhitzung von 1,1 Grad bedeutet: Trockene Felder, Waldbrände, Überflutungen durch Starkregen. Klimaschutz (und -anpassung) bedeutet: „Kidical Masses“ für die Verkehrswende, mehr Grün in der Stadt, Solarpanels auf dem Dach der Kirchengemeinde.
Es geht um „Show, don‘t tell“ im Bestform. Übrigens auch visuell, durch lebendige, greifbare Abbildungen von Klimakrise und Klimaschutz, von deren lokalen Akteur:innen und Schauplätzen. Und eben nicht von Eisbären und Klimakonferenzen.
Kein Thema. Dimensionen des Journalismus in der Klimakrise
Die große Lücke zwischen Klimawissen und Klimahandeln geht auch auf Journalist:innen zurück. Carel Mohn und Sven Egenter fordern deshalb eine neue Auseinandersetzung mit der journalistischen Disziplin.
Klima als Dimension
Dabei wird deutlich, dass die Klimakrise nicht ein Thema, sondern eine Dimension ist, die alle Lebensbereiche berührt. Lokaljournalist:innen, die mit ihrer Arbeit in diese Dimension eintauchen, reduzieren mit der räumlichen auch die mentale Distanz zu Problem und Handlungsraum. Sie produzieren weniger News! News! News! und mehr Einordnung. Einerseits drängt sich die Klimakrise dadurch unangenehm auf, wird persönlicher, andererseits motiviert und befähigt es die Leserschaft zum konkreten Handeln bei ihnen in der Stadt, im Viertel, in der Straße. Konstruktiver Journalismus at it‘s best.
Die Kommunikationswissenschaftlerin Franzisca Weder hat vor ein paar Jahren die Narrative und Methoden im Lokaljournalismus erforscht und schlussfolgert: „Mir kann eine Person hundertmal sagen, dass ich nicht so viel Plastikmüll produzieren soll. Aber was mich wirklich zu einem anderen Verhalten motiviert, das ist die Nachbarin, die mit einer tollen Alternative um die Ecke kommt. Es ist erstens dieses personen- und kontextbezogene Storytelling, was lokalen Informationsaustausch und eben auch Lokaljournalismus ausmacht.“
Nähe gewinnt
Es geht also um lokale, vertraute Menschen, um ihr, oft traditionelles, Wissen, ihre Ängste und Hoffnungen. Ein Friedhofsgärtner, eine Försterin, ein Gruppe Schulkinder können mit ihren Erzählungen stärker zu Verhaltensänderungen motivieren als Promis der Klimawissenschaft oder Greta Thunberg. Bestenfalls kommen auch zurückhaltende, konservative Stimmen zu Wort, die in den Fronten zwischen den Parteien, den Generationen, zwischen Stadt und Land und so weiter viel zu oft verloren gehen.
Zu diesen Konservativen schreiben die Autor:innen des Handbuch Klimakommunikation: „Für die Klientel geeignete Botschaften fokussierten sich auf die Gefahren in der lokalen Umwelt und die möglichen Vorteile von Klimaschutz für die lokale Wirtschaft, die Energiesicherheit, das Vermeiden von Verschwendung und so weiter.“
Gerade die Fragen des Verlustes und der Suffizienz – wie viel ist genug? – lassen sich im Lokalen konkreter und weniger aufgeregt behandeln. Ebenso wie „ästhetische, sinnliche, gesundheitliche, psychologische und vielleicht auch spirituelle Narrative von Klimafolgen und Naturveränderung“, wie Journalismus-Professor Torsten Schäfer schreibt.
Transformation und Wiederverortung in der Zwillingskrise
Artensterben und Klimanotstand fordern von Journalismus und dessen Theorie ein, sich Ort, Landschaft und Natur mit neuen Ethikkonzepten, Rollenbildern und Sprachgewohnheiten zu öffnen. Ein Essay von Torsten Schäfer.
Das Maß bewahren
Lokaljournalismus hat im Kontext der Klimakrise also viel ungenutztes Potenzial – wie er auch Fallstricke und Einschränkungen hat.
Natürlich ist ein trockenes Feld nicht vergleichbar mit der extremen Dürre in Ostafrika, eine Blühwiese für mehr Artenvielfalt nicht mit dem Amazonas-Regenwald und eine Solaranlage auf dem Dach nicht mit milliardenschweren Entwicklungsprogrammen. Lokaljournalist:innen dürfen – Domestizierung und Indexing zum trotz – nicht den Blick für die globalen Entwicklungen und Ungleichheiten verlieren.
Wie die Journalistin Katia Backhaus schreibt, „ist Hürden und Schwierigkeiten darzustellen ein ebenso wichtiger Teil der lokalen Klimaberichterstattung wie über Initiativen und Lösungen zu berichten.“ Es geht darum, realistisch zu bleiben, Verantwortlichkeiten zu benennen und nicht vor Konflikten zurückzuschrecken. Ein Beispiel für die Benennung von Verantwortlichkeit bzw. das kritische Hinterfragen der lokalen Klimapolitik lieferte jüngst „karla“ aus Konstanz.
Drittens kämpfen viele Lokalmedien seit Jahren um ihr Überleben. Wie soll da Ressourcen – Personal, Geld, Zeit – für Klima-Berichterstattung frei gemacht werden? Gegenfrage: Was würde passieren, wenn Lokalmedien sich ernsthaft das Zukunftsthema schlechthin vornehmen würden, einordnen würden, den Sorgen und Hoffnungen zuhören und gerade dadurch neue Leser:innen gewinnen würden? Spätestens seit 2022 gibt es dafür die Ressourcen, die Netzwerke und die gelingenden Beispiele.
Dieser Text erschien zuerst als Gastbeitrag bei „Grüner Journalismus“, dem Medienforum für nachhaltige Entwicklung.
Jonas Mayer
… ist der Betreiber dieser Website, welche Teil seiner Masterthesis zu Frames und Narrativen im deutschen Klimajournalismus war. Mittlerweile arbeitet er selbst als Freier Journalist zu Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung.
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- Aline Pabst gibt zusammen mit Toralf Staud einen kostenlosen Kurs bei der Reporterfabrik an: Lokalen Klimajournalismus umsetzen