Klimajournalismus geht auch mit Feed und Reels. Foto: Jonas Mayer
Kann es auf Instagram seriösen Klimajournalismus geben? Ja, sagen Samira El Hattab und Selina Marx aus der WDR-Redaktion Landespolitik, die hinter @klima.neutral steht – und erklären, wie sie die Möglichkeiten der Plattform voll ausnutzen.
Seit Februar 2021 berichten auf dem Instagram-Kanal @klima.neutral vier Hosts im Wechsel über den Klimawandel und Klimapolitik. Angedockt ist der Kanal an die WDR-Redaktion Landespolitik. Wie passt das zusammen?
Samira El Hattab: Die Klimakrise ist eines der drängendsten Probleme unserer Zeit. Und sie ist sehr komplex. Ihre Ursachen und Folgen bedingen sich oft gegenseitig. Gleichzeitig ist es ein klar politisches Thema. Die Verbraucherinnen und Verbraucher können viel bewegen, aber am Ende müssen die Rahmenbedingungen von der Politik gesetzt werden. Und zwar in beinahe alle politischen Bereichen. Insofern passt das Thema sehr gut zur Kernkompetenz der Redaktion.
Selina Marx: Das Thema passt aber auch sehr gut zu uns, weil beinahe alle Facetten der Klimakrise hier bei uns in Nordrhein-Westfalen sichtbar und spürbar sind – positiv wie negativ. Erst im Juli gab es die furchtbare Hochwasserkatastrophe. Gleichzeitig steht das Land durch den Braunkohleausstieg und den damit verbundenen Strukturwandel vor großen Herausforderungen. Aber auch positive Beispiele und die vielen Chancen zur Erneuerung lassen sich in NRW abbilden: Es gibt hier kreative Start-ups, die zum Beispiel nachhaltige Kleidung produzieren oder wissenschaftliche Einrichtungen, die zu Wasserstoff und Batterien forschen. Und natürlich lassen sich in so einem großen Land auch die politische Debatten sehr gut abbilden – ob es um den Bau von Windrädern oder die Frage nach mehr ÖPNV auf dem Land geht.
Wir wollen konstruktive Debatten an Beispielen aus Nordrhein-Westfalen abbilden.
Samira El Hattab
Samira El Hattab: Wobei uns in der Berichterstattung wichtig ist, immer konstruktiv zu sein. Wir wollen vor allem Lösungswege aufzeigen. Oder darstellen, welche Partei welche Vision hat. Aktuell sind sich ja z.B. alle demokratischen Parteien einig, dass Deutschland klimaneutral werden muss. Nur wie wir dahin kommen, ist diskutabel. Solche konstruktiven Debatten, aufgehängt an Beispielen aus Nordrhein-Westfalen, möchten wir abbilden, damit sich unsere Userinnen und User selbst eine Meinung bilden können.
Selina Marx: Und verstehen, dass die Klimakrise und die Klimapolitik bei ihnen vor der Haustür stattfinden.
Journalismus gegen die Klimaangst
Das Klimathema macht müde oder gar ängstlich. Die Neurowissenschaftlerin und Medienpsychologin Maren Urner kennt ein Gegenmittel und kritisiert den Versuch vermeintlicher journalistischer Objektivität als Feigenblatt.
Eine Woche, ein Thema
Wie sieht die journalistische Arbeit auf dem Kanal konkret aus?
Selina Marx: Wir nehmen uns für jedes Thema eine ganze Woche Zeit, um genügend Raum für möglichst viele Aspekte zu haben. In unseren Storys führen wir oft Interviews mit Expertinnen und Experten oder Betroffenen, die uns Probleme rund um die Klimakrise erklären. Dabei ist es uns wichtig möglichst viele verschiedene Perspektiven zu Wort kommen zu lassen. Beim Thema “Braunkohletagebau in NRW” haben wir z.B. nicht nur mit Menschen gesprochen, die für den Erhalt ihrer Dörfer kämpfen, sondern auch mit RWE. Oder wir nehmen die Community mit zu einem spannenden Ort, damit sie sich selbst ein Bild machen können. Wir waren etwa in einer Fischzucht oder haben uns in Amsterdam eine neue Methode angeschaut, um Plastik aus Flüssen zu fischen.
Samira El Hattab: In den Feedposts fassen wir oft Fakten zusammen, damit die Userinnen und User sie abspeichern und immer auf einen Blick dabei haben können. Wichtig ist uns dabei, immer die politische Dimension mit abzubilden, also welche Partei hat was gemacht bzw. bietet welchen Lösungsvorschlag an. Denn am Ende können wir als Bürgerinnen und Bürger die Klimakrise nicht alleine aufhalten, sondern es braucht politische Lösungen.
Selina Marx: Zwischendurch gibt es bei uns aber auch Memes und Reels – bei aller Ernsthaftigkeit darf die Unterhaltung nicht zu kurz kommen.
Stichwort Unterhaltung. Instagram ist vor allem für Influencerinnen und Influencer bekannt, die sich mit Mode, Fitness, Musik oder Ernährung beschäftigen. Ist das wirklich die richtige Plattform, um über den Klimawandel zu berichten?
Selina Marx: Instagram wird oft unterschätzt. In Deutschland haben inzwischen gut 27 Millionen Menschen einen Instagram-Account, ein Drittel von ihnen ist zwischen 25 und 34 Jahre alt. Und die nutzen Social Media auch als Nachrichtenangebot. Im aktuellen Reuters Institute Digital News Report haben 30% der 18-24-Jährigen gesagt, dass die sozialen Medien ihre wichtigste Nachrichtenquelle sind. Das Vorurteil, dass Menschen dort nur unterhalten werden wollen, stimmt also nicht. Im Gegenteil: Wir haben oft richtig spannende und fundierte Diskussionen unter unseren Postings. Die Community erwartet auch bei Instagram seriöse journalistische Angebote.
Samira El Hattab: Natürlich muss man sich in der Berichterstattung dann ein Stück weit an die Logiken von Instagram anpassen. Ein Story-Snap ist eben nur 15 Sekunden lang und der Look spielt zum Beispiel eine wahnsinnig große Rolle. Aber das hindert uns nicht daran, bei unserer Arbeit die gleichen Standards und Maßstäbe anzulegen, die wir im linearen Programm haben.
Die gute Sache als Blattlinie
Es gibt Streit, ob und wie aktivistisch Klimajournalismus sein darf. Die Medienethikerin Marlis Prinzing blickt auf verschiedene Blattlinien und erklärt, was sie selbst für die beste Grundhaltung hält.
Doppelt neutral
Einige Medienschaffende sagen, dass Neutralität beim Klimawandel unangebracht ist, weil dieser lebensbedrohlich ist und Journalistinnen und Journalisten hier mehr Haltung zeigen müssten. Wie seht ihr das?
Samira El Hattab: Neutralität ist ein hehres Ziel. Wir benutzen lieber den Ausdruck “unabhängig”.
Was bedeutet das?
Samira El Hattab: Wir sind ein Kanal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und das nehmen wir sehr ernst. Wir lassen uns in unserer Berichterstattung nicht beeinflussen – weder von politischen Akteuren, noch von Aktivistinnen oder Aktivisten und haben uns deshalb auch bewusst für unseren Namen entschieden. Klimaneutral – ist einerseits das Ziel der Politik. Aber es soll auch bedeuten, dass wir neutral über das Klima bzw. die Klimakrise und Klimapolitik berichten wollen. Wobei neutral eben vor allem unabhängig meint.
Selina Marx: Das heißt, wir sehen es als unsere Aufgabe an, Zusammenhänge zu erklären und Fakten einzuordnen. Dabei verlassen wir uns aber nicht blind auf Umfragen oder Studien, sondern schauen, was steckt dahinter, welches Interesse verfolgen die Publizierenden damit. So wie das im Qualitätsjournalismus üblich ist.
Trotzdem ist euch gerade am Anfang vorgeworfen worden, ihr würdet mit dem Kanal Wahlkampf für die Grünen machen.
Selina Marx: Das ist ein Vorwurf, den wir absolut nicht nachvollziehen können. Denn die Fakten sind ja klar: Die Klimakrise ist eines der größten Probleme, die wir aktuell haben. Und die Zeit rennt uns davon! Deshalb muss die Politik jetzt handeln – und zwar alle Parteien. Die große Mehrheit hatte das Thema ja auch prominent in ihren Wahlprogrammen zur Bundestagswahl verankert und damit gezeigt, dass sie das Thema eben nicht den Grünen überlassen wollten. Unser Job ist es, die Ideen der Parteien, auch jetzt nach der Bundestagswahl, vorzustellen und zu überprüfen. Und das machen wir nach den altbewährten journalistischen Standards – nur eben bei Instagram.
@klima.neutral
… ist der Instagram-Kanal der WDR-Redaktion Landespolitik zu Themen rund um den Klimawandel. Selina Marx betreut den Kanal redaktionell. Samira El Hattab ist eine von vier Hosts des Kanals.
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